1. Aktueller Anlass:
Aktienbesitzer können seit Juli 2016 mit Aussicht auf Erfolg Schadensersatzklagen gegen Martin Winterkorn persönlich erheben; die Kläger müssen sich nicht mehr auf die Verletzung von Aktienrecht oder Vorschriften zum Wertpapierhandel stützten. Ihnen hilft § 826 BGB.
2. Rechtlicher Hintergrund:
Ansprüche aus dem seltenen und schwierigen Paragraph 826 des BGB kann geltend machen, wer beweisen kann, dass VW-Manager in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise Aktienbesitzern vorsätzlich Schaden zufügt haben; einfach gesagt: Wenn die Spitzenmanager geahnt und billigend in Kauf genommen hatten, dass VW-Aktien an Wert verlieren würden, wenn ihre Manipulation rauskommen würde.
3. Wirtschaftlicher Vorteil:
Geschädigte, die aus § 826 klagen, haben einen Riesenvorteil: Sie können von ihrer Rechtsschutzversicherung nicht mehr mit der Begründung abgewiesen werden, es läge ein Risikoausschluss vor. Wertpapierstreitigkeiten sind in der Regel nach dem Kleingedruckten nicht gedeckt. Dies gilt jedoch nicht bei Klagen nach § 826 BGB. Dieser Anspruch stützt sich nicht auf den Vorwurf, VW habe ad hoc Meldungen unterlassen und damit wertpapierrechtliche Pflichten verletzt. Bei § 826 BGB geht es um den Vorwurf, VW habe bei Produktion und Verkauf sittenwidrig gehandelt.
4. Erfolgsaussicht:
Ein auf § 826 gestützter Vorwurf lässt sich mit Aussicht auf Erfolg durchsetzen, da die damit verbundenen Beweisprobleme jetzt weithin gelöst sind. Klagenden Aktienbesitzern stehen seit Juli 2016 Akten in- und ausländischer Behörden zur Verfügung. Und die können im Prozess gegen Winterkorn beigezogen werden. Die Kläger verfügen damit über Beweismittel, die für den schwierig zu führenden Nachweis der Schädigungsabsicht von hohem Wert sind. Es geht um
a. Strafrechtliche Ermittlungsakten: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt gegen Ex-VW-Chef Winterkorn wegen des Verdachts der Marktmanipulation: Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe gab am 11. Juli 2016 nach Presseberichten (http://fleetkonzept.de/2016/07/20/vw-abgasskandal-news-und-hintergruende-update-neue-anklage-gegen-vw) bekannt, gegen zwei damalige Vorstandsmitglieder zu ermitteln: Den früheren VW-Chef Martin Winterkorn und einen anderen nicht genannten Manager. Dabei handelt es sich um den derzeitigen VW-Markenchef Herbert Diess, wie mehrere Personen aus dem Umfeld des Konzerns bestätigten. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte, es sei nicht auszuschließen, dass gegen weitere Personen ermittelt würde: „Das ist ein fließender Vorgang.“ Bei den Ermittlungen geht es um den Vorwurf, dass Volkswagen die Finanzwelt womöglich zu spät über die Affäre informiert habe. Dem Konzernvorstand gehörten im September 2015 vor dem Rücktritt Winterkorns im Zuge der Abgasaffäre zehn Männer an, darunter der jetzige Vorstandschef Matthias Müller und der jetzige Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch, damals noch Finanzvorstand.
b. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht hat nach Presseberichten aufgrund ihrer Untersuchungen zum VW-Dieselskandal nach Informationen von einer mit dem Vorgang vertrauten Person den gesamten Vorstand von Volkswagen bei der Staatsanwaltschaft angezeigt. Dem damaligen Vorstand gehörte als Vorsitzender auch Prof. Winterkorn an. Der Vorstand sei nach Auffassung der insgesamt verantwortlich für die mutmaßliche Marktmanipulation, sagte der Insider der Nachrichtenagentur Reuters am 21. Juni 2016.
c. Anklageschrift: Staatsanwalt Schneiderman aus Nex York, USA, behauptet, laut BILD in einer Anklageschrift, die sich gegen den damaligen Vorstand Winterkorn richtet, „Es ist schockierend, was wir bei unseren Ermittlungen herausgefunden haben. Hier wurde wissentlich und willentlich, gerissen und zynisch betrogen.“ Die 90-seitige Anklageschrift, deren Grundlage nach BILD-Informationen die Ermittlungsergebnisse des US-Justizministeriums enthält und die BILD vorliegt, enthält schwere Anklagen, auch gegen den aktuellen VW-Chef Müller und seinen Vorgänger Winterkorn: „Schon 2006 soll Müller - damals noch Chef des Projektmanagements bei Audi - in einer Mail davon erfahren habe, dass die Harnstofftanks in Amerika größer sein müssten als in Europa, um die Abgaswerte einzuhalten. Auch der ehemalige Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn - damals Audi-Chef - soll kurz zuvor über das Problem informiert worden sein“, heißt es bei BILD. Namentlich genannt würden in der Anklageschrift zudem unter anderem Frank Tuch (2010-2015 Chef Qualitätsmanagement, hat direkt an Martin Winterkorn berichtet).