1. Haftung: Nach gegenwärtiger Sach- und Rechtslage haftet Dr. Winterkorn persönlich für Schäden, die VW-Aktionäre erlitten haben. Aus dem Strafverfahren, das im September 2020 gegen ihn unter 6 KLs 23/19 vor dem LG Braunschweig eröffnet worden ist, drohen ihm wegen bandenmäßiger Begehung laut FAZ vom 10.09.2020 im Falle der Verurteilung bis zu zehn Jahre Haft.
2. In Aktionärsklagen, die sich gegen Winterkorn persönlich richten, ist der Aktienverlust konkret zu beziffern. Es ist jedoch nicht sicher, welche VW-Aktionäre Betrugsopfer sind, also Schadensersatz verlangen können. Nach einer Auffassung haben nur diejenigen einen Anspruch, die nach dem 3. September 2015 VW-Aktien gekauft haben. Nach anderer Auffassung kann jeder Anleger Ansprüche geltend machen, der zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Abgasmanipulation am 20. September 2015 durch den Vorstand von VW Inhaber einer Vorzugs- oder Stammaktie von VW war. Wieder andere sehen Ansprüche für Anleger, die Aktien zwischen dem 6. Juni 2008 und dem 17. September 2015 gekauft haben.
3. Auch bezüglich der Schadenshöhe herrscht Streit. Es gibt Anwälte, die von einem Schadensersatz zwischen 54 und etwa 60 Euro pro Aktie ausgehen. Im Rahmen des Musterverfahrens gegen VW wurde ein Kursdifferenzschaden geltend gemacht, der mindestens 59,50 Euro beträgt – je VW-Vorzugsaktie, die am 22. September 2015 gehalten wurde (LG Braunschweig, Beschluss vom 5. August 2016, Az. 5 OH 62/16, Seite 17).
4. Aussicht auf Erfolg haben Urteile, mit denen in das Vermögen von Dr. Winterkorn vollstreckt werden kann; nach Presseberichten wird sein Vermögen auf 100 Millionen € geschätzt, wovon ein Teil bereits 2012 in die Schweiz transferiert und auf seine Ehefrau überschrieben worden sein soll. Es steht deswegen zu befürchten, dass Dr. Winterkorn im Fall seiner Verurteilung nicht mehr in der Lage sein wird, alle Titel/Forderungen zu befriedigen. Es empfiehlt sich deswegen, ähnlich wie im Fall von Dr. Braun von Wirecard, jetzt einen dinglichen Arrest zu erwirken; also zu versuchen, greifbare Vermögenswerte zu arretieren. Fragen zum Wohnsitz, zur Vertretung sowie zur Haftungsbereitschaft sind zwischenzeitlich geklärt. Allerdings ist vor Gericht glaubhaft zu machen, dass eine Erschwernis oder Vereitelung der künftigen Vollstreckung zu besorgen ist. Gerichte erwarten in diesem Punkt Belege mit Beweiskraft; eine eidesstattliche Versicherung allein reicht erfahrungsgemäß nicht.
5. Für Aktionärsklagen und/oder Arrestverfahren empfiehlt es sich, Kostenschutz zu erwirken. Rechtschutzversicherungen haften für solche Interessenwahrnehmungen ungern; in der Regel wird zur Ablehnung die sogenannte Wertpapierklausel bemüht. Hiergegen kann eine Entscheidung des Ombudsmanns für Versicherungen aus dem Jahr 2017 angeführt werden. Im Fall von Kapitalanlagenbetrug greift hiernach diese Klausel nicht. Um solche Diskussionen zu meiden, sollte nur wegen deliktischer Haftung aus §§ 823 und 826 BGB angefragt, die Forderung also keinesfalls auf die Verletzung wertpapierrechtlicher Vorschriften gestützt werden. Derart reduzierte Anfragen sind schon positiv verbeschieden worden.